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10 THESEN ZUM SCHULBAU
ÜBER SCHULBAU OPEN SOURCE
Wie können und wie sollen alte und neue Schulhäuser für die Gegenwart und die nahe Zukunft fit gemacht werden? Welche pädagogischen Konzepte spielen dabei eine Rolle und wie lassen sie sich räumlich und städtebaulich umsetzen? Die folgenden Thesen behandeln zehn zentrale Herausforderungen für das Planen und Bauen von Schulen heute.
Fast alles, was heute gewusst werden kann, ist zu jeder Zeit von jedem Ort der Welt mit einem Klick abrufbar. Der Schlüsselbegriff für die zukünftige Schule heißt deshalb – vereinfacht gesagt – nicht Wissen, sondern Können: Zeitgleich mit dem Erwerb elementarer Kenntnisse gilt es, Kompetenzen zum Umgang mit Wissen zu erwerben. Dabei ist es wichtig, durch unterschiedliche aktive Zugänge zum Lernen eine Vielfalt an Lernwegen und eine Vielzahl an Lernhandlungen zu ermöglichen. Lernen heißt nicht bloße Reproduktion, sondern aktive Konstruktion durch die Lernenden – im eigenen Kopf, im eigenen Körper und gemeinsam mit anderen.
Die Vielfalt der Lernwege und die Unterschiedlichkeit der Lernhandlungen erfordern unterschiedliche Lernsituationen – das traditionelle Klassenzimmer verliert als Instruktionsraum seine zentrale Funktion. Je nach Lernszenario gilt es, eine Wahlmöglichkeit zwischen unterschiedlichen Raumsituationen zu haben. Dem entsprechend sind Räume nicht nach eindeutigen Hierarchien geordnet, sondern lassen sich mannigfaltig kombinieren. Monofunktionale Nutzungszuweisungen werden vermieden, Mehrfachnutzbarkeit wird ermöglicht, offene Grundrisse (und Cluster-Modelle) gewinnen an Bedeutung.
Jedes einzelne Kind, jeder einzelne Jugendliche ist und lernt verschieden – Schule muss der Individualität der/des Einzelnen gerecht werden. Zugleich gilt aber auch: Kein Kind kann alleine lernen. Lernen braucht die Anerkennung, den Dialog, die Auseinandersetzung mit anderen. Es müssen deshalb in der Schule sowohl individuelle Lernerfahrungen als auch Erfahrungen in Teamarbeit von der Klein- bis zur Großgruppe gemacht und reflektiert werden können. Schule respektiert die Einmaligkeit jeder/jedes Einzelnen und nutzt zugleich die Unterschiedlichkeit der Menschen zu wechselseitiger Ergänzung und Unterstützung.
Auf architektonischer Ebene bedarf es quantitativer und qualitativer Veränderungen. Die über Jahrzehnte hin gültige Maßgabe bei der Flächenberechnung mit 2 Quadratmetern pro Schüler/in ist nicht hinreichend, um außer frontaler Belehrung ganz unterschiedliche Lernformen im zügigen Wechsel zu ermöglichen. Jenseits von Flächenbedarfen geht es auch um qualitative Veränderungen. Die Frage der räumlichen Organisation ist unmittelbar abhängig von der Durchlässigkeit und Transparenz zwischen den einzelnen Räumen. Um die Parallelarbeit von Einzelnen und Kleingruppen zu organisieren, ist eine unmittelbare räumliche Vernetzung erforderlich. Bei aller Durchlässigkeit und Transparenz müssen gleichzeitig die Forderungen nach einer ausreichenden akustischen Trennung und brandschutz-technischer Sicherheit gewährleistet sein.
Veränderte gesellschaftliche Anforderungen an die Schule wie auch die neuen Lehr- und Lernkonzepte erfordern derzeit die Umwandlung der Halbtagsschule in eine Ganztagsschule. Es wird vermutlich nur noch wenige Jahre dauern, bis auch in Deutschland die Ausnahme zum Regelfall wird, wie in den meisten anderen europäischen Ländern. Der Ganztag sichert nicht nur die Unterbringung der Kinder und Jugendlichen, wenn beide Eltern berufstätig sind. Er trägt auch entscheidend dazu bei, ein Mindestmaß an Bildungschancen für alle zu ermöglichen, ohne die Förderung besonderer Begabungen auszuschließen.
Angesichts der Vielzahl der Aktivitäten einer Ganztagsschule würde der Flächenbedarf mit einer rein additiven Fortschreibung monofunktionaler Nutzungszuweisungen – für jede Aktivität ein gesonderter Raum – ausufern. Aktivitätsorientierte und handlungsbasierte Raumkonzepte gehen daher bereits von Anbeginn von der Planung vielfältiger Mehrfachbelegungen aus. Die Architektur muss dabei auf die veränderten Rhythmen des Schulalltags reagieren: Dynamisch anpassbare und komplexe Raummodelle sind erforderlich.
Das Grundmuster für die normale Unterrichtssituation entstand in einer Zeit, in der es weder Computer noch Fernsehen, weder Wikipedia noch YouTube gab. Der Lehrer oder die Lehrerin waren das erste und wichtigste Tor zu den Welten, die jenseits des unmittelbaren Erfahrungsfeldes des Kindes lagen. Das hat sich mit den modernen Medien radikal geändert. Die Schule hat ihr Monopol für Welterklärungen verloren. Damit ist für die Lehrenden ein grundlegender Rollenwechsel verbunden. Trotz Fernsehen und E-Learning werden an diesen neuen Toren zur Welt weiterhin reale Personen dringend gebraucht. Denn die Neuen Medien ermöglichen den Schüler/innen nur Sekundärerfahrungen – nicht aber wirklich bildende primäre Erfahrungen: die persönliche, aktive Begegnung mit Menschen und Sachen.
Die Ausstattung einer Schule mit moderner Informationstechnologie ermöglicht neue Lernszenarien. Eine gute technische Infrastruktur, wie sie heute an jedem Bürostandort als Standard erachtet wird, bildet auch die Maßgabe für den Schulbau. Mit der Medialisierung wird eine hohe Anpassbarkeit an unterschiedliche Arbeitssituationen ermöglicht. Dynamisierung und Verlangsamung können individuell bestimmt werden, Übergänge sind fließend; Umbauzeiten lassen sich auf ein Minimum reduzieren. Neue, so nicht geplante Lernszenarien können entstehen, wenn Raum vielfältig nutzbar ist. Die Möglichkeit, Lernatmosphären innerhalb und außerhalb des Schulgebäudes frei auszuwählen, bedeutet eine erhebliche Vervielfachung der Lernszenarien.
Schule soll Benachteiligungen von jungen Menschen ausgleichen – wodurch auch immer sie begründet sein mögen: durch Geschlecht, Herkunft, die Arbeitslosigkeit der Eltern oder anderes. PISA hat gezeigt, dass Schulsysteme, in denen Schüler/innen länger gemeinsam lernen, zu besseren Bildungsergebnissen führen. Die in Deutschland vielfach vertretene These, dass eine frühzeitige Separierung zur Förderung der/des Einzelnen beiträgt, kann empirisch nicht belegt werden. Die Ergebnisse anderer Länder zeigen zudem, dass dies auch und gerade für ausgesprochen leistungsstarke Kinder und Jugendliche gilt.
Pragmatisch lassen sich zwei Ebenen der Inklusion im Hinblick auf ihre räumlichen Implikationen darstellen. Zum einen ist da die harte Frage der Barrierefreiheit, die sich an ganz konkreten Anforderungen festmachen lässt: Erschließung, Bewegungsflächen, Öffnungsmaße, Leitsystem, Bedienelemente etc. Zum anderen gilt es, eine Fülle an weichen Kriterien für die Unterstützung heterogener Gruppen zu beachten. Die Forderungen nach Öffnung und Differenzierung (etwa durch eine Clusterbildung) erhalten hier nochmals eine zusätzliche und zwingende Begründung, da sich in der inklusiven Schule das Spektrum der Lernformen deutlich erweitert. Die konkreten räumlichen Anforderungen, die aus der Inklusion resultieren, müssen projektspezifisch präzisiert werden.
Lernen wird in der Lehr- und Lernforschung heute nicht mehr als eindimensional sprachlich-logisches oder mathematisch-operatives Lernen betrachtet, sondern schließt gleichberechtigt die Erweiterungen in Richtung musikalisches, kinästhetisches, emotionales und räumlich-gestalterisches Lernen mit ein. Diese kulturelle Dimension ist allerdings nicht nur als Unterstützungsleistung für das angeblich „eigentliche“ Lernen zu sehen. Die kulturelle Dimension selbst muss vielmehr einen der eigenständigen Ecksteine jeglicher Bildung bieten.
Schulen sind öffentliche Gebäude und vor diesem Hintergrund in hohem Maße Ausdruck einer baukulturellen Produktion einer Gesellschaft. Sie dokumentieren den Stellenwert von Bildung und zeigen sich in immer wieder unterschiedlichen zeitgenössischen ästhetischen Setzungen. Als Bauwerk sind sie kulturstiftende Orte. Jenseits von vordefinierten Repräsentationsmodellen – »Eine Schule sieht eben aus wie eine Schule« – muss so die Gestaltung und Nutzung einer Schule als fortwährender Aneignungsprozess verstanden werden: Die Räume werden den sich wandelnden Lernformen angepasst und nicht umgekehrt.
Lernen ist nicht nur eine Sache des Kopfes. Lern-, Gehirn- und Gesundheitsforschung haben auf vielfältige Weise nachgewiesen, dass ein Kopf zum Lernen seinen ganzen Körper benötigt. Die Stillung elementarer physiologischer Bedürfnisse ist Voraussetzung für erfolgreiches Lernen ebenso wie für die Gesundheit der Schüler/innen. Vorhandene Schulbauten sind dagegen oft gekennzeichnet durch unzureichende Lichtverhältnisse, schlechte Luft, überheizte Räume und bedrängende Enge im Unterrichtsraum. Diese Faktoren gehören zu den vermeidbaren Stressoren erster Ordnung, die Lernen schlicht verhindern oder zumindest sehr erschweren.
Gesundheit und Bewegung spiegeln sich im Raum auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Motivation und Kognition der Lernenden und Lehrenden sind unmittelbar abhängig von bauphysikalischen Qualitäten – von Luftqualität, von Akustik, von Licht und vom Raumklima. Schallreduktion, Lichtführung, verträgliche Luft- und Temperaturverhältnisse sind daher zentrale Aufgaben für den Schul(um)bau und müssen im Rahmen von integralen Planungskonzepten gelöst werden. Gesunde Schule beinhaltet auch gesundes Arbeiten in der Schule. Lehrende verfügen mit ca. 1,5 Quadratmetern pro Person vielfach nur über völlig unzureichende Arbeitsbedingungen, zumal für den Ganztagsbetrieb. Angemessene Flächen für die individuelle Vorbereitung, Besprechungen und den informellen Austausch sind in entsprechend ausgewiesenen Bereichen vorzusehen.
Demokratie „im Großen“ beruht auf Gewaltenteilung, politischer Gleichheit und der uneingeschränkten Achtung der Würde aller Menschen. Sie ist in der demokratischen Verfassung festgehalten und rechtlich gesichert. Demokratisches Handeln von Einzelnen im Kleinen ist notwendig, um miteinander in gelingender Kommunikation und Konfliktlösung zu leben. Wichtig ist hierbei, selbst eine Stimme zu haben und die Stimme der anderen zu hören und zu respektieren. So werden Kinder und Jugendliche nicht nur dazu befähigt, ein Gefühl für sich und ihre Interessen zu entwickeln. Sie lernen auch, andere mit ihren Interessen und ihren Sichtweisen wahrzunehmen und sich mit aufkommenden Konflikten lösungsorientiert auseinandersetzen zu können.
Das Schule-Bauen ist bereits der erste Prüfstein einer demokratischen Schule. Die Schule muss zuallererst selbst in die Planungs- und Aushandlungsprozesse der Schularchitektur einbezogen werden. Kommunikation steht im Mittelpunkt der aktuellen pädagogischen Debatte um beständig wechselnde Lernformate. Entsprechende Rahmenbedingungen für die Ausbildung kommunikativer Orte zu schaffen, ist eine zentrale Anforderung für den Schulbau.
Umwelterziehung in einem umfassenden Sinn ist ein zentrales Thema der Bildung geworden. Die Schule muss darum ein positives Verhältnis zur Natur und ein Verständnis für Funktion und Wirkung der Technik vermitteln und aktiv erlebbar werden lassen. Die Nachhaltigkeitsdiskussion ist auf breiter Ebene in der Schuldiskussion angekommen und bewegt sich zwischen den drei Themenfeldern soziale, ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit.
In jüngster Zeit sind in Deutschland umfassende Maßnahmen zur ökologischen Sanierung im Schulbau durchgeführt worden – allerdings meist aus rein energetischer Sicht ohne Berücksichtigung pädagogischer Belange. Gerade in einer Verschränkung von technischer Sanierung, pädagogisch-organisatorischer Reorganisation und gestalterischer Erneuerung liegen aber zentrale Entwicklungschancen für zukunftsfähige Schulen.
Die Schule ist kein geschlossenes System, das nur aus sich selbst heraus alle notwendigen Ressourcen bereitstellen kann. Mit dem Übergang zur kompetenzorientierten Schule, die ganztägig betrieben wird, muss eine Öffnung von innen nach außen und von außen nach innen vonstatten gehen. Die Verbindung mit dem Umfeld und dem angrenzenden Quartier ist nicht nur für die Schule, sondern auch für die Stadt um sie herum von grundlegender Bedeutung. Dabei sind erforderliche Abgrenzungen zu berücksichtigen: so viel Offenheit wie möglich, so viel Abgeschlossenheit wie erforderlich. Eine gute Schule gibt den ihr anvertrauten Kindern und Jugendlichen ein Stück Heimat und dem Quartier einen kulturellen Mittelpunkt.
Wenn Schulen als Teil einer gemeinsamen kommunalen Infrastruktur fungieren, ändert sich das Spektrum der Schulhaustypologien grundlegend. Dabei sind zwei Tendenzen ablesbar: einerseits das Konzentrationsmodell, bei dem verschiedene kommunale Dienstleister unter einem großen Dach zusammengefasst werden und die Schule gemeinsam mit anderen Bildungs- und Beratungseinrichtungen in einem Gebäude untergebracht ist; andererseits das Dispersionsmodell, bei dem die intensive Vernetzung unterschiedlicher, oft schon bestehender Bildungsbausteine zu einer Bildungslandschaft im Mittelpunkt steht. In beiden Fällen müssen berechtigte Interessen der Bildungseinrichtungen einerseits und Quartiersbedarfe andererseits miteinander abgestimmt werden, um die Balance zu erreichen, die beiden Seiten nützt.
(Aus: „Schulen planen und bauen 2.0 - Grundlagen, Prozesse, Projekte“, hg. von der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft, Berlin/Seelze 2017, Kapitel II (Auszüge))
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